Wie Jugendlichen Lyrik nahegebracht werden kann
Am 20. März war der ehemalige Stadtschreiber von Bergen-Enkheim Thomas Rosenlöcher zu Gast in der Schulbibliothek der Europäischen Schule RheinMain, um den Neuntklässlern – passend zu dem gerade im Deutschunterricht behandelten Thema – die Lyrik nahezubringen. Wer sich an die eigene Schulzeit erinnert, der weiß, dass dieses Thema nicht gerade zu den beliebtesten im Deutschunterricht zählte – damals nicht und heute wohl auch nicht. Gleichzeitig mag sich der ein oder andere erinnern, dass man sich selbst irgendwann ans Gedichteschreiben wagte, Freundinnen oder Freunde die Resultate jedoch nur selten zu Gesicht bekamen.
In der Schule wird fleißig interpretiert, gedeutet und zerpflückt, und das ist ja auch wichtig und richtig. Thomas Rosenlöcher wurde aber nicht müde den Schülern zu vermitteln, dass sowohl beim Schreiben von Gedichten als auch beim Lesen zuerst ein Gefühl da sein muss, eine Ahnung von etwas, ohne dass da zunächst schon gedeutet und interpretiert wird. Wie bei einer Skulptur sollten die Betrachter erst einmal um ein Gedicht herumgehen, es von allen Seiten betrachten, mit naiver Neugier schauen und fühlen und erst dann mit der Interpretation beginnen. Diese emotionale Ebene des Schreibens und Rezipierens von Lyrik war wohl eines der wichtigsten Themen des Autorengesprächs, an dem sich die Schüler mit erstaunlicher Sachkunde beteiligten.
Vielleicht genauso wichtig war ein weiterer Aspekt, den Thomas Rosenlöcher den Schülern nahebringen konnte, nämlich die Frage, warum jemand Gedichte schreibt. Die Dinge im Gedicht spürbar zu machen, eigene Beobachtungen und Emotionen wie ein bildender Künstler in einem Gemälde durch die Sprache auszudrücken, zunächst einmal nur für sich selbst, das erfordert Zeit und Muße und – auch das wurde nicht verschwiegen – bringt dem Dichter keine monetären Reichtümer. Er berichtete auch von den Frustrationen, die es immer wieder gab: Studienkollegen, die zukünftige Ehefrau waren nicht immer begeistert von den Gedichten und die eigenen Kinder fanden es eher komisch, wenn der Vater in der Dachkammer wieder einmal vor sich hinbrabbelte auf der Suche nach den richtigen Worten. Thomas Rosenlöcher betrachtet ein Gedicht dann als „fertig“, wenn er selbst das ausgedrückt findet, was ihn bewegt und berührt, erst einmal ganz unabhängig vom Leser. Ein Gedanke, der an einer Schule möglicherweise anarchistisch erscheinen mag, schreiben doch die Schüler scheinbar für den Lehrer, die guten Noten, das Zeugnis.
Nach der Lesung verriet Thomas Rosenlöcher noch seine enge Verbundenheit mit Bergen: Gerne wäre er an dem sonnigen Tag noch auf einen Spaziergang zum Berger Hang gefahren, doch seine aktuelle Aufgabe als Hausacher Stadtschreiber führte ihn stattdessen in den Schwarzwald. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei ihm für sein Kommen und beim Elternverein der Europäischen Schule RheinMain für die finanzielle Unterstützung der Schulbibliothek, die diese wichtige Lesung, wie auch zahlreiche andere, möglich gemacht hat.